Hurrah, Freispruch! Und wer zahlt?

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Der klassische Fall des Justizirrtums ist der Unschuldige, der zu Unrecht als (vermeintlicher) Straftäter verurteilt wird. Solche Justizirrtümer beginnen aber nicht erst bei jenem Richter, der schließlich das (Fehl-)Urteil fällt, sondern bereits bei der Staatsanwaltschaft, die – ohne erkennbares System – nicht selten auch dort gerne einmal anklagt, wo nichts anzuklagen ist.

Aber selbst dort, wo einem Angeklagten schließlich keine Schuld nachzuweisen ist und er freigesprochen wird, enden die Justizirrtürmer nicht. Nämlich dann, wenn der Angeklagte auf den Kosten seiner Verteidigung sitzenbleibt. Strafverteidigung ist teuer, und dort, wo Anwaltszwang herrscht, ist sie außerdem unumgänglich, und nicht jedermann bekommt Verfahrenshilfe.

Manchmal enden Strafverfahren mit einem Freispruch mangels Schuldbeweises. Einfacher gesagt: Der Staatsanwaltschaft, die ja die Anklage vertritt, gelingt es nicht, den Verdächtigen eine Schuld nachzuweisen. Ob die Schuld nachgewiesen werden kann oder nicht, sollte sich die Staatsanwaltschaft aber überlegen, bevor sie überhaupt Anklage erhebt – schließlich ist auch die Staatsanwaltschaft zur Objektivität verpflichtet (§ 3 Strafprozeßordnung). [1]

Der Witz ist aber: Auch wer mangels Schuldbeweises oder aus anderen Gründen freigesprochen wird, bekommt nach § 393a Strafprozeßordnung immer nur einen Teil seiner Verteidigungskosten ersetzt. [2] Auf dem Rest bleibt er, wenn keine Rechtsschutzdeckung vorhanden ist, sitzen. Von der Zeitverschwendung, die ein solches Verfahren für einen (zu Unrecht) Angeklagten bedeutet, und die ihm niemand ersetzt, gar nicht zu sprechen.

Nun gibt es Richter, die das berücksichtigen, und es scheint, daß sie bei Anklagen, die ihnen besonders i***** weit hergeholt vorkommen müssen, zum Ausgleich einen großzügigeren Kostenbeitrag gewähren – ein legitimer Ansatz. Aber statt daß sich die Staatsanwaltschaft dann in der angebrachten Bescheidenheit üben würde – sie hat ja einen Schmarrn angeklagt – erhebt sie oft noch Beschwerde gegen einen aus ihrer Sicht gar zu hohen Kostenbeitrag. So lautet wohl die Botschaft: Die Staatsanwaltschaft irrt nie, und wenn schon das Gericht nicht mit einem Schuldspruch mitspielt und freispricht, dann erfolgt die Bestrafung eben wirtschaftlich, indem der (freigesprochene!) Angeklagte einen Gutteil seiner Verteidigerkosten selbst tragen muß. Denn bei den Entscheidungen über den „Beitrag zu den Kosten der Verteidigung“ geht es ja nicht darum, daß der Strafverteidiger mehr oder weniger Geld für seine Verteidigerleistungen bekommt, sondern daß der (freigesprochene!) Angeklagte entweder den Großteil oder einen noch größeren Teil seiner Kosten selbst zahlen darf.

Das alles gilt natürlich als nicht verfassungswidrig. „Eine Verpflichtung, dem bzw. der Freigesprochenen sämtliche Aufwendungen für seine bzw. ihre Verteidigung zu ersetzen, kann weder den geltenden Verfassungsbestimmungen noch der Judikatur des EGMR entnommen werden“, sagt die Lehre, und auch Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK gewähre „keinen Anspruch auf (vollen) Ersatz der von einem (rechtskräftig) Freigesprochenen aufgewendeten Verteidigerkosten“. Wen wundert’s – sehen sich doch auch die Verfassungsgerichte offenbar als Teil des Staatsapparats, und nicht, wie es gedacht ist, als Richter zwischen den Interessen des Bürgers und dieses Apparats.

Wie kann es sein, daß jemand, der unschuldig in die Mühlen der Strafjustiz gerät, auf einer Art Sowieso-Kosten sitzen bleibt, scheint’s nach dem Motto: Irgendwas wird schon g’wesen sein…“. Was würden Sie sagen, wenn Sie zu einer Verkehrskontrolle angehalten werden, die Polizei partout nichts finden kann, sie aber trotzdem irgendein Handgeld zahlen dürfen, „weil Sie ja eh schon einmal dastehen“? Wundern würde es mich nicht, denn die Botschaft ist seit eh und je: Der Staat irrt nie!

[1] Anmerkung zur Ehrenrettung: Ich habe auch Staatsanwälte erlebt, die in Befolgung des Objektivitätsgebotes in der Strafverhandlung schließlich selbst einen Freispruch beantragt haben. (Allerdings: warum wurde dann überhaupt angeklagt?)
[2] Quelle: Erläuterungen zum Ministerialentwurf

MS
Stand: 09.10.2025